Eine Herausforderung für Helfer und Hilfsbedürftige
Stellen Sie sich vor, Sie müssen weg. Sie haben keine andere Wahl. Anfangs sträuben Sie sich, doch immer mehr werden Sie von den Umständen gezwungen, Ihr Heimatland zu verlassen. Und dann tun Sie es. Sie gehen. Die einen tun es aus ökonomischen Gründen, die anderen sind auf der Flucht, vor Krieg, Not und Gewalt. Andere wiederum folgen ihren Familien oder ihren Träumen. Gründe gibt es zahlreiche, seine Heimat zu verlassen.
Lauter Du und Ichs sind gerade auf der Flucht. Lauter Du und Ichs stehen nun da, versuchen „ihr Glück” zu finden und unsere Heimat zu ihrer zu machen. Versuchen Ihr Leben zu retten und das ihrer Familien.
Was aber passiert wirklich? Können wir uns da hinein versetzen, was diese vorübergehend Heimatlosen gerade durchmachen? Was braucht es, eine „Zweiheimigkeit” aufzubauen? Also aus der Heimatkultur zu stammen und aus der neuen Kultur eine Heimat zu machen? Sprich zwei Orte zu besitzen, die Heimat heißen.
Stammen Sie aus Familien mit Migrationshintergrund, so können Sie sich höchstwahrscheinlich leichter hineindenken, in diesen menschlichen Akt des vorübergehenden Heimatverlustes. Raus aus der kulturellen „Sicherheit” und rein in die neuen Strukturen. Raus aus der Gewohnheit und rein in die Fremde. Auch wenn die Umstände in Ihrer Heimat gegen diese sprachen, so ist es doch Ihre Heimat. Diesen Fakt kann keiner verleugnen.
Heimatlosigkeit, ein Zustand größter Verunsicherung
Wir Menschen sind sicherheitsorientiert; brauchen Orientierung und Halt, um Leben zu können. Alleine diese innere Ausrichtung gibt dem Verlassen der Heimat eine Qualität von größtmöglicher Verunsicherung. Also werden wir wohl alles daran setzen, erst einmal wieder Halt zu finden, uns zu orientieren. Dazu brauchen wir die Voraussetzungen, dies tun zu können und zu dürfen. Wir benötigen finanziellen Halt sowie einen Ort, den wir Heimat nennen dürfen. Erhalten wir diese Voraussetzungen nicht, so werden wir zu „Züglern”. Wir ziehen von einem Ort zum anderen und werden nicht sesshaft. Wir sind gezwungen unser innerstes Programm zu überwinden und Heimat zu empfinden, dort wo wir gerade sind. Wahrlich keine einfache Aufgabe! Schaffen wir es nicht die Rahmenbedingungen zu erreichen, die es braucht sesshaft zu werden, so fallen wir auf; wir fallen aus dem Rahmen und wir fallen genau an den Rand der Gesellschaft, in der wir versuchen Halt zu finden. Je mehr wir am Rand sind, desto länger wird der Weg in die Mitte der Gesellschaft, also in die Integration hinein, die es braucht, um zu Hause zu sein.
Hier helfen, das ist nicht einfach
Viele unter uns haben ihn, den Impuls helfen zu wollen. Aber wie hilft man „richtig”? Richtig im Sinne des Erfolgs einer Hilfeleistung. Da gibt es eine Möglichkeit, die uns ganz nah an diesen „richtigen” Schritt heranführt, der es möglich macht, dass die Hilfe auch ankommt, die man gibt. Dass die Hilfe greift und das sie zur Sicherheit führt,- zum Erwerb eines Platzes, den man Heimat nennt. Dazu stellen Sie sich doch bitte einmal vor, was es braucht, um eine verloren gegangene Sicherheit wieder aufzubauen?
Die Antwort auf diese Frage, ist nun die Struktur ihrer Hilfeleistung. Zuerst einmal braucht es den ökonomischen Schutz. Es braucht Nahrung, Kleidung, die Finanzierung des Daseins und ein Dach über den Kopf. Dann braucht es die Legitimation da sein zu dürfen. Dann braucht es die Wiedererkennung gewohnter Dinge. Etwas, was die alte Heimat ausmachte. Als nächstes braucht es Perspektiven für die Zukunft. Hier wird die vom neuen Heimatland erwartete Integration das erste Mal Bestandteil des eigenen Sicherheitsbedürfnisses des Hilfesuchenden. Je mehr der neue Ort zur Heimat wird, zum Finanzier des eigenen Erhalts, desto größer steigt die Wahrscheinlichkeit des Willens, die Landessprache zu sprechen. Also braucht es die Hilfestellung zum Erwerb der neuen Sprache. Bis dahin ist es aber ein langer Weg.
Zur Hilfe gehören zwei, der Helfer und der Hilfsbedürftige
Wenn wir ans Helfen denken, so sehen die meisten unter uns den Hilfsbedürftigen vor sich. Seine Bedürfnisse und seine Not. Die Wenigsten schauen auf den Helfer. Damit Hilfe ankommt und nicht aus Helfen Frust wird, ist folgendes zu beachten.
Der Hilfsbedürftige ist ein Mensch wie Du und ich. Also ein Mensch mit Ecken und Kanten, mit Schwächen und Stärken. Helfen tun wir, wenn wir ihn nicht als Opfer, sondern als einen Menschen ansehen, der nach Sicherheit strebt. Alle Handlungen, die diesem Menschen Sicherheit geben, helfen. Der Hilfsbedürftige kann sympathisch oder auch unsympathisch sein. Er kann die helfende Hand annehmen oder gut gemeinte Tipps ablehnen. So wie alle Du und Ichs. Ganz wie im normalen Leben. Diese doch sehr einfach gestrickte Realität hilft uns Helfern, die Reaktion auf die Hilfe nicht zu überschätzen. Es hilft uns, dass nach anfänglicher Euphorie keine große Ernüchterung kommt. Es unterstützt uns, einfach nur zu helfen. Eine Hilfe zu leisten, die auch wir bräuchten, wenn wir unsere Heimat verloren haben. Wir werden die unterschiedlichsten Reaktionen ernten. Nicht jeder wird voller Eifer sich daran machen, gleich die Landessprache zu lernen. Die Werte und die Kultur der alten Heimat bestimmen das Verhalten des anderen. Das wird sich auch nicht durch strikte Vorgaben des neuen Heimatlandes verändern lassen.
Die Positionen Helfer und Hilfsbedürftiger können jederzeit wechseln. Also Sie als Helfer, könnten genauso plötzlich in die Position Hilfsbedürftiger rutschen. Das im Kopf zu behalten, schützt uns vor einer Falle des Helfens, dem Großmut. Stellt sich der Helfer (unbewusst) über den Hilfsbedürftigen, so ist er schon drin in dieser Falle. Und diese Falle hat es in sich. Sie kreiert eine untergründige und oft nicht bewusste „Arroganz” sowie eine Schwierigkeit, die Andersartigkeit des anderen zu tolerieren. Helfer, die des Helfens Willen unterstützen, geraten in der Regel nie in diese Fallen. Helfer, die helfen, um etwas zu bekommen, was sie sonst nicht fühlen können, sind eher anfällig für diese Fallgruben.
Die Natur eines gesunden Hilfsverständnisses
Als Helfer geht es nicht um die Belehrung des anderen, sondern um die Hilfe zur Erlangung einer neuen Sicherheit. Helfen wir bei der Integration in die neue Heimat, so sind wir, ebenso wie in allen anderen Hilfskontexten davon abhängig, ob sich das Gegenüber unterstützen lassen will. Fehlt diese Bereitschaft, so sollten sich die Helfer, nach Sicherstellung der Sicherheit des anderen zurückziehen. Denn zum „gesunden” Helfen gehören immer noch zwei. Ein gesunder Hilfeprozess ist ziel- und nutzenorientiert. Er ist sachlich und emotional warm. Er ist ohne Forderungen und schnell. Alleine diese Faktoren sichern einen Hilfeprozess ab und erhöhen die Erfolgswahrscheinlichkeit der Hilfsmaßnahme. Sie machen es dem Hilfsbedürftigen möglich, aus der Position der Bedürftigkeit herauszuwachsen. Sie ermöglichen dem Hilfesuchenden einen neue Heimat zu finden, weil nicht Zwang sondern Sicherheit genau das forcieren. Wo wir beheimatet sind, ist auch Integration. Die Auslegung der Integration variiert je nach kulturellem Hintergrund. Das deutsche Verständnis von Integration muss nicht deckungsgleich mit dem Verständnis der anderen Kultur sein. Dass sollte uns klar sein, uns Helfern in der Not.
Vermittlung zwischen den Welten
Beim INSTITUT SOMMER übernimmt ein Teilbereich der Facilitation diese Vermittlungsarbeit zwischen den Kulturen, die Friedensarbeit. Die Friedensarbeit begleitet den Prozess zum gegenseitigen Verständnis, dort wo es politisch um sehr viel geht. Die Friedensarbeit nach dem INSTITUT SOMMER wird neben dem Einsatz innerhalb politisch bedingter Konflikte auch im unternehmerischen und gesellschaftlichen Konflikten zum Einsatz gebracht. Siehe Friedensarbeit hier.
Möchten Sie noch mehr erfahren, so schauen Sie in die wissenschaftliche Studie über die Beziehung zwischen Helfer und Hilfesuchenden von Anke Sommer, die im Buch: Perspektivenvielfalt, Eine Evaluation der interkulturellen Familienhilfe des freien Trägers Lebenswelt, veröffentlicht wurde, Seite 77-89. (Einen Auszug aus dem Buch finden Sie hier)