Als Unternehmensberaterin erlebe ich sehr viel und lerne mit jedem Auftrag Neues hinzu. Ein trauriger Dauerbrenner in meiner Praxis sind Konflikte, die sich in den Alltag hineingeschlichen haben. Als vor gar nicht allzu langer Zeit ein erfolgreiches Unternehmerpärchen erschöpft vor mir saß, habe ich mich gefragt: Was ist eigentlich das Schlimmste an diesen Konflikten? Diese beiden – wie auch viele andere – Unternehmer waren erschöpft von all den durchgestandenen, irrationalen Kämpfen, dem Gefühl, in der Falle zu sitzen, einem Feind ausgeliefert, der anno dazumal der glückliche Mitbegründer einer guten unternehmerischen Idee gewesen war. Nichts ist davon geblieben. Nur Misstrauen sowie eine unsagbare Überempfindlichkeit dem geschäftlichen Partner gegenüber. Und sehr viel Wut, blinde Wut, zerstörerische Wut…
Die Antwort auf meine Frage, was das Schlimmste an diesen Konflikten sei, lautet also: Es ist der Verlust der Sachlichkeit, gepaart mit dem Mechanismus, Konflikte auszusitzen, wegzuschieben und – wenn überhaupt – erst dann Hilfe zu holen, wenn bereits Unsummen im Schlund des Konflikts verschwunden sind und das AUS kurz bevorsteht.
Warum werden Konflikte ausgesessen, statt sie im Keim zu ersticken? Besonders vor dem Hintergrund, dass unternehmerische Existenzen auf dem Spiel stehen.
Auch hier spielt die sinkende Rationalität und das Zurückgehen der Sachebene eine Schlüsselrolle. Während zu Beginn eines Konflikts noch versucht wird, durch Klärung allerlei aufzufangen, gerät dies mit dem einsetzenden Verlust der Rationalität immer mehr aus dem Fokus. In den Fokus rückt nun „der Feind”, der kein anderer als der Kollege, der Geschäftspartner, ein Mitarbeiter etc. ist. Erst durch diese Zuschreibung gelangt der Feind ins Unternehmen. Und dort, wo Feinde sind, herrscht Krieg. Und dieser Krieg hinterlässt Schäden, die das Herz des Unternehmens angreifen.
Wie können wir uns diesen Wandel vom Konflikt zum Krieg in der Praxis vorstellen?
Mitarbeiter werden infiltriert mit dem Versuch des Einnehmens für die eigene Seite. Je stärker die Ausmaße des Konflikts sind, desto stärker werden auch die Ausgleichsmanöver. Was eigentlich Chefsache ist, wird von Mitarbeitern getragen, denn die Chefs sind nun mit der Zerstörung des vermeintlichen Gegners, ihrem einstigen Partner, beschäftigt.
Die Zerstörung verbirgt sich hinter dem Gewand der Gerechtigkeit. Bekämpft wird das Ungerechte, die Gemeinheit und die nervige oder unkorrekte Art des Gegenübers. Geschädigt wird so aber vor allem das Unternehmen selbst, indem Arbeit liegen bleibt, unsinnige Mails hin und her gehen, lange Gespräche über den „schrecklichen Kollegen” geführt werden und Strategien entwickelt, um den Feind aus dem Unternehmen zu werfen. Alles in allem wertvolle Zeit, die dem Unternehmen und seinen Zielen verloren geht. Summa summarum viel verlorenes Kapital.
Das klingt eher nach Filmmaterial als nach Unternehmensalltag.
In einem schwelenden Konflikt steigt die Emotionalität mit jeder Konfliktminute an. Je länger ein Konflikt andauert, desto emotionaler wird er. Mit dem Anstieg der Emotionalität tritt proportional gesehen die Rationalität, also die Vernunft und der Verstand, in den Hintergrund. Das macht Konflikte so gefährlich, jedoch nicht weniger alltäglich. Und wer nun denkt, Emotionalität kommt immer laut daher, sollte lieber umdenken.
Wie genau meinen Sie das?
Vor langer Zeit schlichtete ich einmal einen Konflikt, bei dem einer der konfliktbeteiligten Gesellschafter plötzlich ganz ruhig wurde und mich kurz an sich zog, um mir eine Frage ins Ohr zu hauchen. Zuerst dachte ich, es handele sich um einen schlechten Scherz oder ich habe mich einfach nur verhört. Dann aber musste ich feststellen, dass hier ein bitterer Ernst in der Luft lag. Die gehauchte Frage lautete: „Soll ich den Killer wieder abbestellen?” Selbstverständlich kam es nie zu einem Mord. Die Herren leiten noch heute ein Unternehmen. Der Konflikt konnte entemotionalisiert, die Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt werden.
So wie Sie es erzählen, bekomme ich gleich eine Gänsehaut… Das war doch sicher rhetorisch gemeint?
Sich Gedanken zu machen, ob es nur eine rhetorische Frage war, die dieser Herr stellte, führt nicht weiter. Allein die Frage zeigte die Gefahr auf, die hinter jedem Konflikt steht. Die Normalität verschiebt sich zugunsten der Irrationalität. Was Außenstehenden unglaublich erscheint, ist im Konfliktgeschehen normal. Wer nun denkt, man bräuchte kriminelle Energie oder das Gen eines Tyrannen, um im Konflikt auszurasten, der irrt.
Wenn ich daran denke, wie viele unterschiedliche Menschen und Charaktere in allen möglichen Unternehmen arbeiten… Ist es vor diesem Hintergrund nicht normal, dass man mal aneinandergerät?
Je schneller wir einsehen, dass Konflikte nicht Teil eines unternehmerischen Alltags sind, sondern die Eintrittskarte in einen „Krieg“, umso schneller erkennen wir an, dass unser Wissen um interpersonelle Unterschiede oder Fachliches keinen Schutz vor Konflikten darstellt. Denn eines darf man nie unterschätzen: Die schleichende Wirkung von Konflikten. Was als vermeintliche Kleinigkeit anfängt, endet eben allzu oft mit dem Verlust von Verstand und Vernunft.
So erklärt sich auch die Scham, die so gut wie jeden Konfliktbeteiligten im Laufe der Auflösung heimsucht. Scham hilft hier aber nicht weiter, sondern nur die Erkenntnis, dass ab einem gewissen Entwicklungsgrad eines in die Jahre gekommenen Konfliktes interne Hilfsversuche oft verpuffen. Irgendwann fehlt die Kraft zur Konfliktbeendigung. In dieser Phase kommt es zu willkürlichen Ausbrüchen des Konflikts.
Was passiert, wenn Sie zu Hilfe gerufen wurden und schließlich etwas bewirken konnten? Was raten Sie den Betroffenen?
Dank der Begleitung nach meiner Methode sinkt die altgeprägte Emotionalität. Der Konflikt wird entemotionalisiert. Was für ein unternehmerischer und auch gesundheitlicher Schaden durch den Konflikt entstanden ist, eröffnet sich den Konfliktbeteiligten oft erst nach dieser Entemotionalisierung. In dieser Phase der Normalitätszurückgewinnung wird oft die Frage gestellt, warum haben wir es bloß so weit kommen lassen?
Jeder Unternehmer sollte daher darauf achten, dass Konflikte, dass das Ergreifen von Parteilichkeit, das Durchleben von Macht und Ohnmacht Teil eines kriegerischen Umfelds sind. Innerhalb dieses Umfelds kann niemals Frieden gedeihen.
Also beenden Sie die Konflikte in Ihrem Unternehmen. Ist der Verlust von Sachlichkeit zu weit fortgeschritten, holen Sie sich Hilfe. Erst im Frieden kann ihr Unternehmen zu dem reifen, was es an Potenzial in sich trägt. Im Krieg nicht. Dort entstehen Schäden, die es zu verkraften gilt.
Wie schnell gelingt es, wieder mehr Sachlichkeit ins Unternehmen zu bringen? Wie gestaltet sich in diesem Vorgang die Zusammenarbeit zwischen den Konfliktbeteiligten?
Für mich als systemische Beraterin ist der größte Erfolg, die Wandlung einer konfliktverseuchten Beziehung miterleben zu dürfen. Oft geht dieser ProzessDas Wort Prozess stammt aus der Persönlichkeitsentwicklung und zeigt den aktuellen Stand der individuellen Entwicklung an.... Weiterlesen über eine zunächst aufgebaute Distanz. Dieser Prozess braucht seine Zeit. Er hat seine Höhen und seine Tiefen. Je länger ein Konflikt wüten durfte, desto größer ist die gegenseitige „Allergie”. Wenn dann wieder gearbeitet werden kann, ohne sich gleich an die Gurgel zu springen, ist viel geschafft. Ähnlich wie beim Conchieren guter Schokolade braucht es ein gutes Gespür des Beraters und Geduld auf der Seite der Konfliktbeteiligten. Nicht zwangsläufig muss einer gehen, damit das Unternehmen wieder funktioniert. Nein, was geschehen muss, ist die Entnahme der Störungen, die entstanden sind, und zwar auf allen Ebenen des Unternehmens, auf denen der Konflikt wüten konnte. Geduldig und konsequent muss diese Entstörung betrieben werden. Denn selbst wenn Konfliktbeteiligte ausscheiden, weicht noch lange nicht der Konflikt selbst. Denn er wird einfach von anderen unternehmensinternen Personen aufgegriffen und weitergelebt. Im Anschluss rate ich zu einem Change-Management-Prozess, um die Firma in die Wirtschaftlichkeit zurück zuführen und Neukonflikte zu verhindern. Die Länge des Einsatzes richtet sich nach der Mitwirkung der Konfliktbeteiligten während der Entemotionalisierung. Je strenger die Regeln beachtetet werden, desto schneller stellt sich die Sachebene wieder ein.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Konfliktmanagements in Unternehmen?
Einen Stopp, das wünsche ich mir. Einen Stopp, der aus der Sensibilität gegenüber Konflikten entsteht. Auch wünsche ich mir die Einsicht, dass die Redewendung: „Konflikte machen blind”, nicht von ungefähr entstanden ist. Ich wünsche mir, dass Hilfe zu holen nicht als Zeichen von Schwäche, sondern als Zeichen einer zurückkehrenden Rationalität gewertet wird.
Auch steht auf meiner Wunschliste, Konflikte als unterschätztes und gefährliches Massenphänomen in Unternehmen einzustufen, dem nicht durch vorgefertigte Methoden beizukommen ist. Konflikte gehören zu den normalsten Übeln der Welt. Jedes Übel braucht eine individuelle Behandlung, bei dem nicht der Konflikt, sondern die Rückgewinnung der Vernunft im Fokus steht. Das geschieht nur außerhalb der Schlachtfelder, denn im Krieg, sei er kalt oder heiß, geht es um Macht und Ohnmacht, um Oben und Unten, um Leben und um Tod.
Nur wenn der Fokus auf die Beendigung des Missstandes gerichtet wird, verlassen die Konfliktbeteiligten das Schlachtfeld. Solange es um Recht und Unrecht geht, befinden wir uns im Kriegszustand.
Vielen Dank, Frau Sommer.